Neuen Entwicklungen auf der Spur: Ist chemisches Recycling die Lösung für bislang nicht-recyclebare Kunststoffe?

Netzwerke schaffen, täglich neue Themenfelder kennenlernen, Grenzen überwinden: Für Nadya Bendig, Entwicklungsingenieurin bei REHAU, ist das Berufsalltag. Sie ist Teil der REHAU-internen Werkstoffentwicklung und immer auf der Suche nach neuen Wegen, wie der Anteil an Recycling-Material in unseren Produkten gesteigert werden kann. In der Regel kommt das sogenannte mechanische Recycling zum Einsatz – Kunststoffabfälle werden gewaschen, sortiert und zu Granulat verarbeitet, das anschließend für die Herstellung neuer Erzeugnisse verwendet wird. Doch welche Möglichkeiten gibt es, wenn diese Methode an ihre Grenzen stößt? Mit dieser Frage beschäftigen sich Nadya und ihr Team. Dabei untersuchen sie unter anderem, welche Möglichkeiten das chemische Recycling in so einem Fall bietet. Was es damit auf sich hat, erklärt Nadya uns in einem Interview.

REHAU RETURN

Du bist Teil des RIT, dem „Research, Innovation & Technology“-Bereich von REHAU. Wie darf man sich eure Arbeit vorstellen? 

Das RIT ist eine zentrale Forschungs- und Entwicklungseinheit der REHAU Gruppe. Wir forschen an neuen Ansätzen aus Wissenschaft und Technologie, um damit andere Bereiche bei der Weiterentwicklung ihrer Produkte zu unterstützen. Ich bin Teil des Spezialisierungsbereichs Recycling. Unser Fokus liegt auf der Unterstützung der Divisionen bei der Auswahl geeigneter Recycling-Materialien für den Einsatz in bestehende Produkte. 

Was genau ist deine Aufgabe?

Ich beschäftige mich mit dem Screening und der Analyse recycelter Materialien und suche nach neuen Anwendungsmöglichkeiten, um diese in immer mehr REHAU-Produkte zu bringen. Zu meinen Aufgaben zählt es, sicherzustellen, dass die Qualität und die Verfügbarkeit der Rohstoffe unseren Anforderungen entsprechen. Dazu gehört auch der Aufbau von Partnerschaften entlang der Recycling-Wertschöpfungskette von der Beschaffung über die Verarbeitung bis hin zum Produkt. Darüber hinaus unterstütze ich die Kollegen und Kolleginnen aus unserem Produktmanagement beim Designen neuer Produkte. Diese sollen bevorzugt aus recycelten Materialien hergestellt werden. Gleichzeitig sollen sie ihrerseits am Ende ihres Lebenszyklus‘ leicht recycelbar sein, um die Materialkreisläufe schließen und CO2-Emissionen senken zu können. Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld: Die Zusammenarbeit mit Partnern, um neue Recyclingtechnologien für schwer recycelbare Kunststoffe zu entwickeln.

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Nadya Bendig

Das herkömmliche Recycling ist also nicht für alle Kunststoffe geeignet?

Nein. Bisher kommt überwiegend das mechanische Recycling zum Einsatz. Dafür werden alte Rohstoffe und gebrauchte Produkte zurückgenommen, gereinigt, aufbereitet und anschließend für die Herstellung neuer Produkte verwendet. Doch das ist keine Lösung für alle Kunststoffarten. Gründe hierfür sind zum Beispiel, dass ein Material nicht thermisch aufschmelzbar ist oder Verunreinigungen wie Bedruckungen die Qualität des mechanisch recycelten Materials negativ beeinflussen. 

Welche Möglichkeiten gibt es in diesem Fall?

Für solche Abfallströme bietet zum Beispiel das chemische Recycling einen spannenden Ansatz. Dabei werden Kunststoffabfälle durch Veränderung ihrer chemischen Struktur in ihre ursprünglichen Bausteine zerlegt. Diese Bausteine können zur Herstellung neuer Kunststoffe, aber auch von Produkten wie Chemikalien oder Kraftstoffen verwendet werden. Somit ergänzt das chemische Recycling die mechanischen Recyclingprozesse, indem es die Wiederverwendung von Kunststoffen ermöglicht, die andernfalls nicht noch einmal verwendet werden hätten können.

Warum wird diese Methode nicht schon breiter angewendet?

Dieses Recycling-Verfahren ist noch sehr neu. Es birgt viele Vorteile, zum jetzigen Zeitpunkt allerdings auch noch Herausforderungen. Denn das chemische Recycling erfordert komplexe und technologisch anspruchsvolle Verfahren. Außerdem weist es gegenüber dem mechanischen Recycling aufgrund seines höheren Energiebedarfs eine schlechtere CO2-Bilanz auf. Auch für die Behandlung und Entsorgung von möglichen Nebenprodukten, die beim Prozess anfallen, gibt es häufig noch keine finale Lösung. Ein abschließendes Fazit zu diesem Verfahren kann zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch niemand vornehmen. Dazu steht es noch zu sehr am Anfang. Das ist normal für ein neues Verfahren: Man hat jetzt gesehen, dass es funktioniert, nun muss es noch optimiert werden. 

Denn immer in den Fällen, in denen das mechanische Recycling an seine Grenzen stößt, ist es trotzdem eine wichtige Alternative, um Werkstoffe im Kreislauf zu halten und nicht zu deponieren oder zu verbrennen. Die meisten großen Rohstoffhersteller sehen darin deshalb ein großes Potenzial und investieren umfangreich sowohl in Forschung als auch konkrete erste Anlagen, um genau die genannten Herausforderungen anzugehen und umweltverträgliche und wettbewerbsfähige Verfahren zu entwickeln. In Partnerschaften mit ausgewählten Rohstoffherstellern beschäftigen auch wir uns deswegen jetzt schon damit und testen Anwendungsfälle, für die wir bislang keine Lösung durch das mechanische Recycling anbieten konnten.

Gibt es Beispiele, inwiefern das chemische Recycling bei REHAU bereits zum Einsatz kommt?

Grundsätzlich arbeiten wir bei der Neuproduktentwicklung daran, das Design von Anfang an so zu gestalten, dass das Produkt aus recyceltem und recycelbarem Material besteht und nach Lebensende möglichst unkompliziert in den Kreislauf zurückgeführt werden kann. Für bereits bestehende Produktlinien testen wir, wie wir den Anteil an recyceltem Material mit Hilfe von mechanischem Recycling erhöhen können. Dafür arbeiten wir auch an Rücknahmekonzepten, um Restmengen einzusammeln und weiterzuverarbeiten. 

Was mich besonders stolz macht: Unsere Bemühungen tragen nachweislich Früchte. Letztes Jahr haben wir unser Ziel, den Anteil an recycelten Materialien in unseren Produkten auf 15 Prozent im Vergleich zu 2018 zu erhöhen, bereits geschafft. Statt der angestrebten 15 Prozent haben wir weltweit 18 Prozent erreicht und das Ziel auf 20 Prozent erhöht. Um das zu erfüllen oder wieder zu übertreffen, müssen wir natürlich weiter an neuen Möglichkeiten forschen.

Wo das mechanische Recycling nicht möglich ist, beschäftigen wir uns deshalb damit, wie wir diese Grenzen mittels chemischen Recyclings erweitern können. Zusammen mit unseren Kollegen und Kolleginnen der Divisionen und mit Rohstofflieferanten arbeiten wir daran, die ersten Materialien im Pilot-Maßstab zu testen. Dieses Jahr konnten wir zum Beispiel mit unserer Division Building Solutions zeigen, dass Produktionsabfälle, die bei der Herstellung von Hausinstallationsprodukten anfallen, durch chemisches Recycling wiederverwertet werden können. Der Abfall wird somit zum Wertstoff für die Produktion neuer Kunststoffe.

Würdest du also sagen, das chemische Recycling ist DIE Lösung für nicht-recyclebare Kunststoffe?

Nein. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch nicht DIE allumfassende Lösung, die großflächig eingesetzt werden kann. Dafür birgt das Verfahren noch zu viele Herausforderungen. Neue Produkte sollten von Anfang an kreislauffähig gedacht und gestaltet werden. Für das bestehende Portfolio sollten verschiedene Wege getestet werden und bei einzelnen Anwendungsfällen wiederum kann man sich ansehen, ob das chemische Recycling bereits heute eine gute Lösung ist, wenn das mechanische an seine Grenzen stößt. In jedem Fall müssen wir weiter daran forschen, um das Verfahren noch besser bewerten und sein Potenzial ausschöpfen zu können.

Vielen Dank für das informative Interview!

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