Auf der Suche nach nachhaltigen Materialalternativen: Welches Potenzial steckt in Biokompositen?

Steigende Umweltanforderungen und die zunehmende Ressourcenknappheit führen dazu, dass neue, umweltschonende Materialien für Produktentwicklungen weiter in den Fokus rücken. Eine Alternative sind recycelte Werkstoffe. Doch es gibt auch noch andere: Biokomposite. Was es mit diesem Hoffnungsträger auf sich hat und warum wir dessen Einsatz für REHAU-Lösungen erforschen, erklären uns Dr. Dominic Tilgner, Head of Technology Platform Recycling, und Dr. Stephan Sell, Technology Platform Composite, in einem Interview.

Was sind Biokomposite? 

Stephan Sell: Unter Biokompositen versteht man Verbundwerkstoffe mit einer biogenen Komponente. Sie bieten eine nachhaltige Alternative zu herkömmlichen Materialien, die vollständig auf Erdöl basieren, indem sie traditionelle Polymere mit Naturfasern, natürlichen Füllstoffen oder Bio-Polymeren kombinieren. Eine weitere Biokomposit-Variante ist die Verbindung aus Naturfasern und Bio-Polymeren. Diese bio-basierten Polymere bestehen vollständig oder zumindest teilweise aus nachwachsenden Rohstoffen. Manche davon sind sogar biologisch abbaubar. Für die Herstellung von Bio-Polymeren werden Naturprodukte wie Holz, Maisstärke, Zuckerrohr oder auch pflanzliche Abfälle aus der Fett- oder Papierherstellung verwendet.
 

Welche Vorteile ergeben sich daraus?

Stephan Sell: Dank Biokompositen können bei der Produktentwicklung fossile Rohstoffe durch nachwachsende ersetzt werden. Das geht einher mit einer CO2-Einsparung und einer geringeren Umweltbelastung und stellt gleichzeitig einen Schritt hin zu mehr Unabhängigkeit von Erdöl dar. Je nach eingesetzten Materialien können außerdem Mikroplastik-Einträge in die Umwelt verringert oder vermieden werden. Doch es gibt noch mehr Vorteile: Biokomposite zeichnen sich durch eine sehr hohe Festigkeit und Steifigkeit aus. Gerade für die Automobilbranche sind diese Verbundwerkstoffe interessant, weil sie neben einer guten mechanischen Performance hervorragende Dämmeigenschaften bei einer geringen Dichte mitbringen. So kann Gewicht eingespart werden, Bauteile können also gleichzeitig leicht und umweltfreundlich gestaltet werden. Aufgrund dieser Eigenschaften wurde in den letzten Jahren verstärkt Forschung für weitere Anwendungsfelder betrieben und immer mehr Marktfelder für den Einsatz von Biokompositen erschlossen.

 

 

„Wir sind immer auf der Suche nach innovativen und nachhaltigen Lösungen und sehen ein großes Potenzial zur Reduktion von CO2-Emissionen durch Biokomposite.“

Dr. Stephan Sell, Diplom-Chemiker Technology Platform Composite

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Welche Einsatzbereiche gibt es für diese Verbundwerkstoffe?

Dominic Tilgner: Naturfaserverstärkte Kunststoffe mit Holz finden sich seit längerem in Terrassendielen oder Zäunen. Daneben werden Biokomposite vor allem im Möbelbereich oder in Verpackungen eingesetzt. Seit einigen Jahren werden die Einsatzgebiete immer vielfältiger: Die Bandbreite reicht inzwischen von Musikinstrumenten bis hin zu Spielzeugen und Koffern. Und es sind noch viele weitere denkbar. Gerade für technische Anwendungen sehen wir ein großes Potenzial. Deshalb haben wir vor zwei Jahren an einer Marktstudie zu Biokompositen des AZL-Instituts (Aachener Zentrum für Integrativen Leichtbau) teilgenommen – Experten im Bereich der Leichtbautechnik.


Um was ging es bei dieser Studie?

Stephan Sell: Der Zweck der Studie war es, Produkte in Zukunft umweltfreundlicher gestalten zu können dank einer genauen Einschätzung zu Marktpotenzial, möglichen Anwendungen und relevanten Technologien der Biokomposite. Lange spielten Biokomposite bei technischen Anwendungen eine untergeordnete Rolle, deshalb sollten weitere Anwendungsgebiete erforscht werden. Die Studie hat gezeigt, dass Biokomposite Standardfasern auch in vielen technischen Produkten ersetzen können. Wir haben uns daran beteiligt, weil wir immer auf der Suche nach innovativen und nachhaltigen Lösungen sind und ein großes Potenzial zur Reduktion von CO2-Emissionen durch Biokomposite sehen.
 

 

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„Unser Ziel ist es, neue Anwendungsmöglichkeiten zu identifizieren und Neuentwicklungen anzustoßen, um nachhaltige Materialien in immer mehr Produkte zu bringen.“

Dr. Dominic Tilgner, Head of Technology Platform Recycling

 

 

Wo werden Biokomposite bei REHAU bereits eingesetzt?

Dominic Tilgner: Mit der Einführung von RAUKANTEX evo haben wir neben RAUKANTEX eco eine weitere nachhaltige Produktlinie im Bereich Kantenbänder eingeführt. Hier kommen statt des üblicherweise verwendeten Rohöls non-fossile Vorrohstoffe zum Einsatz. Diese Verwendung nachhaltiger Rohstoffe wird zukünftig über den gesamten Fertigungsprozess durch eine externe Auditierung und die renommierte ISCC-Zertifizierung sichergestellt. Zur Zeit durchläuft das nachhaltige Kantenband aus Polypropylen diesen Zertifizierungsprozess. Aktuell überprüfen wir darüber hinaus weitere Anwendungsmöglichkeiten und arbeiten dafür mit unseren Teilkonzernen und Divisionen zusammen.
 

Ihr arbeitet in einer unternehmensübergreifenden Abteilung, die Lösungen für alle Teilkonzerne und Divisionen entwickelt. Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit anderen Funktionen?

Dominic Tilgner: Wir suchen ständig neue Möglichkeiten und arbeiten gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Fachbereiten an konkreten Produktideen. Sie kennen die Marktansprüche und Kundenbedürfnisse, wir entwickeln innovative Werkstoffe und Verfahren. Dafür haben wir ein breites Partnernetzwerk aufgebaut und holen uns neue Inspirationen, um vielversprechende Konzepte auf andere Industriebereiche und Produkte übertragen zu können. Gemeinsam mit den Fachbereichen wollen wir so passende Lösungen finden, die auf die Wünsche unserer Zielgruppen zugeschnitten sind und auf unsere Vision einzahlen, das Leben durch den Einsatz innovativer Technologien zu verbessern. Gleiches gilt für die Teilnahme an der Biokomposit-Studie mit dem Ziel, Anwendungen zu identifizieren und Neuentwicklungen anzustoßen, um nachhaltige Materialien in immer mehr Produkte zu bringen.
 

Vielen Dank für das Interview!

Dr. Dominic Tilgner ist Leiter der Technologieplattform Recycling, Dr. Stephan Sell ist als Diplom-Chemiker für die Technologieplattform Composite tätig. Beide sind Teil des „Research, Innovation and Technologies“-Teams (kurz: RIT). Das RIT ist eine cross-divisionale Abteilung, die neue Materialien und Prozesse entwickelt, testet und gemeinsam mit unseren Teilkonzernen neue Technologien und Produkte zum Leben erweckt. Im Fokus stehen dabei unter anderem umweltfreundliche Alternativen und nachhaltige Produkte.
 


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